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Geburtstag in Corona Zeiten
Ich habe demnächst Geburtstag! Das ist in heutiger Zeit eine eklatante Herausforderung.
Denn wo, wie und mit wem, seit kurzem auch wann soll man feiern, wenn man nicht die
Einsamkeit an solch einem Festtag genießen will. Es ist auch noch ein sogenannter runder
Geburtstag und ich bin nicht mehr jung genug, um auf eine hohe Anzahl runder Geburtstage
hoffen zu können. Was also tun? Ich reiße mich aus meiner nachrichtenbedingten
Depression und entwerfe ein Hygienekonzept:
Zuerst einmal, was geht und was geht gar nicht? Was ist erlaubt, was verboten?
Was wird kontrolliert, was bestraft und wieviel kostet das Bußgeld im Ernstfall?
Klar ist, dass die ganze Feier zur Sperrstunde zu Ende sein muss, also um 23:00 Uhr.
Ob der Heimweg meiner Gäste bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt sein muss oder sie nur
mein Haus verlassen haben müssen, muss noch geklärt werden.
Eine morgendliche Sperrstunde gibt es meiner Kenntnis nach nicht, ich könnte also bereits
um 6:00 Uhr mit der Feier beginnen, falls da jemand kommt. Das gibt mir eine recht lange
Zeitspanne zur Feierdurchführung. Nun zu den Gästen. Meine Familie umfasst, da ich zu
den geburtenstarken Jahrgängen gehöre, deutlich mehr als fünf, ja sogar zehn Personen.
Die außerhalb meiner Stadt Wohnenden kann ich gleich streichen, voraussichtlich
dürfen sie nicht ein- oder dann wieder zurück ausreisen, und wenn wir ein Hotspot werden,
muss ich mit ihnen in Quarantäne. Das ist mir dann doch ein bisschen zu viel und vor allem
zu nahe Familie.
Bleiben also die in der Heimat Verbliebenen. Auch deutlich zu viele für einen Aufenthalt im
Restaurant, Festsaal oder selbst zu Hause. Denn obwohl wir zweifellos alle verwandt
beziehungsweise familiär verbunden sind, kommen wir aus unterschiedlichen Haushalten.
Treffen aus lediglich zweien sind erlaubt. Hinzu kommt ein in einer Familie nicht
ungewöhnlicher Altersunterschied. Sollen sich die Kinder eventuell ihr ganzes Leben
hindurch Vorwürfe machen, weil Uromi an dem Virus, das sie, die Kleinsten, vielleicht
eingeschleppt haben, tragischerweise in ihren frischen Neunzigern dahingeschieden ist?
Nein, strikte Trennung der Generationen ist angesagt. Uromi muss geschützt werden!
Und nicht nur sie gehört zum Kreis der Gefährdeten. Oma hat manchmal Schwierigkeiten
beim Atmen, vor allem wenn sie mit dem Enkel die Treppe hinaufrennt und Opa hat
immerhin zwei künstliche Hüftgelenke, da weiß man nie, was so ein Virus anrichten kann.
Die deutlich jüngere und die ganz junge Generation könnte man eventuell zusammen
einladen, wenn da nicht die Personenbeschränkung wäre. Man müsste also wieder trennen.
Die Folge wäre ein Besuch von Eltern und Baby ohne die restlichen zwei Geschwister oder
selbige Geschwister mit nur einem Elternteil oder alle Geschwister ohne ihre Eltern oder
alle ohne mich und den Opa. Aber da könnten sie eigentlich auch zu Hause bleiben.
Also noch mal gerechnet: Die ganze Familie wird in kleine Grüppchen von maximal drei
Personen aufgeteilt, weil ich selbst an meiner Geburtstagsfeier auch teilnehmen möchte,
was vielleicht ein bisschen egoistisch klingt, aber nein, darauf bestehe ich. Ich rechne hin
und her, mache Skizzen, streiche Kinder, streiche Elternteile, streiche Großeltern und Freunde
sowieso. Es klappt einfach nicht, die Personenanzahl für eine private Feier, denn gerade die
stehen zur Zeit deutlich im Fokus, da immens gefährlich, bleibt einfach zu groß.
Ich verschiebe die Lösung und wende mich den Getränken zu, da es beim Essen ja offenbar
noch keine Einschränkungen gibt. Alkohol ist das Reizwort. Ja oder nein und vor allem was
und wieviel. Denn gänzlich ohne Alkohol wird es nicht so einfach gehen. Nicht dass ich aus
einer Alkoholikerfamilie komme, aber ein Schlückchen Sekt zur Begrüßung und ein
Gläschen Wein zum Essen war eigentlich Standard bei allen bisherigen Familienfeiern,
manchmal gab es sogar noch einen kleinen Nachtisch, in dem sich Spuren von Alkohol
fanden. Das kann man jetzt wohl nicht mehr verantworten, da sich das Virus unter
Alkoholeinfluss taumelnd verbreitet und besonders nach 23:00 Uhr. Also entweder wir
trinken den Alkohol vor 23:00 Uhr in gebührenden virologisch-korrekten Abständen,
waschen uns dann gründlich die Hände und gehen nach Hause oder wir verzichten und
trinken Wasser, Brause oder Milch.
Aber daran sollte meine Feier nun wirklich nicht scheitern, auch nicht am gründlichen
Lüften - dann müssen sich alle eben warm anziehen, mit Mütze und Schal und
Handschuhen - auch nicht am vorgegebenen Mindestabstand (gilt der eigentlich noch
oder ist der vergrößert worden?) auch wenn das Anstoßen mit Wasser oder Brause
dann schwierig wird.
Und natürlich keinesfalls wird sie an einer zeitgemäßen Begrüßung scheitern.
Wir werden noch klären ob Ellenbogen oder Faust mit den herzlichen
Glückwünschen zum Geburtstag besser vereinbar ist.
Ich fasse Mut!
So schlimm ist das alles ja gar nicht, und es dient einem guten Zweck, nämlich mindestens
der Rettung der Menschheit oder dem ethisch-korrekten Selbstwertgefühl.
Ich werde den Tag in kleine Einheiten einteilen. Immer zwei Personen meiner etwas größeren
aber keinesfalls unüberschaubaren Familie dürfen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu meiner
Geburtstagsfeier kommen. Begrüßung und Glückwünsche erfolgen mit der Faust - nach
der Desinfektion der Hände. Das ganze natürlich mit Mundschutz!
Dann dürfen sich die für diesen Zeitraum eingetakteten Personen15 Minuten in meinem
Wohnzimmer im Abstand von 1.50m auf die Couch setzen, ich davor im Sessel, der Opa im
anderen – natürlich auch mindestens 1.50m entfernt – dann plaudern wir ein wenig und stoßen
herzlich mit Leitungswasser auf Abstand an.
Singen und Musizieren fallen natürlich ganz und gar aus.
Mein Küchenwecker wird uns erinnern, wenn die Besuchszeit rum ist und meine lieben Gäste
dann anschließend leider wieder gehen müssen. Ich habe circa 10 Minuten zum Desinfizieren
der Armlehnen, Türklinken und meiner Hände.
Dann kommen die nächsten zwei. Das müsste gut klappen, zumindest wenn sich alle an die
Hygieneregeln und an meinen Zeitplan halten…
und wenn sich nicht kurzfristig doch wieder alle coronabedingten Bestimmungen ändern.
AST – 14. Oktober 2020
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